ANDINGMEN

Sabine Maria Schmidt


Mai 2015

(in German)





Eine tönerne Asphaltfläche, abstrakt wie ein schwarzes Quadrat, spürt den akustischen Spuren einer alten Tradition des Straßenhandels nach, die aus Asien in eine schweizerische Fußgängerzone transferiert sind. Bis in die 90er Jahre prägten die alten Viertel mit traditionellen Wohnbebauungen und engen Gassen (Hutongs) das Stadtbild Pekings, das grundlegenden Wandel erfahren hat. Die Tondokumente folgen den noch verbliebenen Händlern, die rufend und singend Waren anbieten bzw. anfragen, was sie von den Bewohnern erwerben können. Man kann auf drei Wegsystemen über verborgenen Lautsprechern den räumlichen Bewegungen der ‚Geisterhändler’ folgen, doch ihrer aus Raum und Zeit enthobenen Bedeutung nicht mehr gewahr werden. Die Andingmen nutzen einen streng dialektischen Sprachcode, der selbst nur mehr von wenigen Einheimischen verstanden werden kann.

Mentale Bilder schaffen, sie finden oder hinterlassen, sie zu distribuieren und zu verstecken, sie auflösen und erscheinen lassen, das sind künstlerische Vorgehensweisen des höchst vielschichtigen Werkes von Juergen Staack.
Dabei stand zunächst nicht nur die Übersetzbarkeit von Fotografie in Sprache, sondern auch die materielle Fragilität des analogen und in seiner Flüchtigkeit auch digitalen fotografischen Bildes im Vordergrund. Was ist ein Bild? Was ist noch kein Bild? Welche Codes sind nötig, um es zu lesen? Welche gehen verloren?
Im Zeitalter einer alles beherrschenden globalen Bildkultur stellt Juergen Staack die Frage nach den bilderzeugenden Grundlagen und Elementen gänzlich neu. Seine künstlerische Bildkritik findet dabei in Zeichnungen, Soundinstallationen, „sprechenden“ Bildern und poetischen Performances statt, in denen das Modell von „Sender – Nachricht – Empfänger“ durch den Einsatz unlesbarer Codes empfindlich gestört wird. Sie führen nicht nur die gravierenden Fehlstellen zwischen Wahrnehmung und Kommunikation vor, sondern auch die Grenzen bildhafter Repräsentation. So forscht Staack auf seinen zahlreichen Reisen durch Asien, Europa oder Sibirien ungewöhnlichen Phänomenen wie dem sibirischen „Eisflüstern“ nach („Oymiakon“, 2013); dem weltweiten Aussterben lokaler Sprachtraditionen („Transcription – Image“, 2008) und den mit ihnen verknüpften kulturellen Traditionen und ökonomischen Überlebensstrategien – wie der Auktionssprache japanischer Thunfischhändler („Tsukiji“, 2010) oder den illegal an Mauern angebrachten Telefonnummern von chinesischen Tagelöhnern („Wei“, 2012).

Nicht zuletzt klingt auch in der  Züricher Installation das konzeptuelle Leitmedium des Künstlers nach: die „expanded photography“, die neu interpretiert wird. Die erste erhaltene Photographie eines Blicks aus dem Atelierfenster von J. N. Nièpce aus dem Jahr 1826 wurde mittels einer asphaltbeschichteten Zinnplatte fixiert. Der schwarze Asphaltboden der Installation schafft einen gerahmten Raum für ein akustisches Palimpsest, dessen imaginierte Bilder von den Passanten immer wieder neu überschrieben werden können.